Oswald Wiener

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In Erinnerung an Oswald Wiener

Oswald Wiener ist tot, gestorben am 18. November 2021 im Alter von 86 Jahren. Suchend, gebildet, radikal, originell, wichtig bis zuletzt.

Er war ein wichtiger Begleiter der KHM, seit 1995 gab es zahlreiche größere und kleinere, immer aber verbindliche und beflügelnde Veranstaltungen mit ihm, die letzte im Januar 2017 als eine der größten an der KHM, auf mein Betreiben und meine Einladung hin, mit Gesprächen und
Vorträgen, vorbereitenden Lehrveranstaltungen und dann der schönen Ausstellung der Traumaquarelle von Ingrid Wiener im 'glasmoog'. Überhaupt war Oswald mir lange vor der KHM schon ein wichtiger Begleiter, Anreger, Kritiker, der 1983 in unser Leben trat und zu einem engen, großzügigen, liebevollen Freund wurde, wachsend über die Jahrzehnte, mit Besuchen bei ihm bis leider nicht ganz zuletzt, aber nur um weniges davor, in Krefeld, Dawson,
Halltal, Birkfeld, Neustift/ Kapfenstein. Der letzte geplante Besuch wurde, wie so vieles, vereitelt
durch die derzeit wieder so genannten Umstände.


Es ist hier nicht der Ort einer Würdigung, zahlreiche, lesenswerte und teilweise informierte Nachrufe erschienen, der von Dietmar Dath an der Spitze. Aber es ist zu danken: Oswald, dem Leben, das uns so viel von ihm geschenkt hat, von seinen generösen, freundschaftlichen, treuen Seiten. Um ihn in Erinnerung zu behalten für die KHM, bieten wir hier eine Veröffentlichung des Gesprächs, das ich mit ihm im Anfang August 1998 in Dawson City geführt habe und das nach den üblichen, hier aber auch geringfügigen redaktionellen Umarbeitungen dann als eines der Nachworte erschienen ist zur Neu-Ausgabe der legendären 'Junggesellenmaschinen', die ich mit Harald Szeemann 1997 und 1998 bewerkstelligt und 1999 herausgegeben habe. Das Gespräch mit Oswald wie die Neu-Edition überhaupt war im Grunde ein Kernprojekt der KHM, da es um die Frage der Einschätzung der Maschinen und Apparate des Computerzeitalters ging.
Entsprechend war die Ermöglichung der Neuausgabe auch eine Produktion der KHM.


Oswald Wiener blieb ein radikaler Künstler, der scharfer Kritiker blieb einer nur ästhetisch operierenden Kunst, Er wurde zu einem bedeutenden Wissenschaftler, der aber von den Konformitätsritualen der konventionellen Wissenschaften gemieden wurde. So mutig diese
angeblich sind. Sie sind es in Wahrheit nicht, sondern ängstlich bis feige. Er betrieb veritable Wissenschaft, aber seine Sozialisationsbedingungen als experimenteller Literat, Musiker, Poet, Denker und Kritiker waren nicht konform genug. Umso schlimmer und auch peinlicher für den affirmativen Wissenschaftsbetrieb. Zwar wurde er, war und blieb ein berühmter Mann. Aber das hat nicht geholfen, dass seine denkpsychologisch und kognitionswissenschaftlich bahnbrechenden
Arbeiten, Versuche und Protokolle, die auch verlorene und durch den Behaviorismus unterdrückte Traditionen reaktivieren wollte, so ernst genommen wurden, wie dies nötig und angemessen gewesen wäre. Also blieb er, widerwillig und doch überzeugt, ein Grenzgänger im
Niemandsland zwischen den Künsten und Wissenschaften, unermesslich belesen. Nicht zuletzt
ein herausragender Erforscher der Träume als eines neuronalen Geschehens. der für einen einzigen Aufsatz 1'500 Monographien gesammelt und gelesen und dann auf eine Darstellung verzichtet hat, weil er nicht in der Lage war, die Erkenntnis zu erreichen, die er, bedingungslos auch gegen sich, erreichen wollte.


Es fehlt uns an solchen Menschen, immer mehr, an radikalen Kritikern, anarchischen Beanspruchern einer bedingungslosen, also nicht situativ verhandelbaren oder gar einschränkbaren Freiheit, an Denkern, die wirklich denken, auch darin radikal, ein Künstler, der stets an den Fortschritt der Wissenschaft, aber nicht an die Auffassung der Wissenschaftler glaubte, dass sie diesen beliebig beschleunigen können, um ihre eigene Agenda von Ruhm-, Geltungssucht und Mittelbeschaffung zu befriedigen und zu ermöglichen.


Oswald Wiener war ein Poet, ein Suchender, ein Schriftsteller von höchster Begabung und Qualität, ein Beobachter und Selbstbeobachter von größter Genauigkeit, der die Lust am Erkennen für unstillbar und weitertreibend hielt. Von Anfang an bis zum Schluss. Als 18-jähriger fuhr er, wie er uns erzählte, von Wien mit dem Fahrrad nach Basel, um sich Jazzplatten zu besorgen, die in Österreich nicht aufzutreiben, deren Musiker zudem vollkommen unbekannt waren. Das ist ein schönes Bild. Im Alter blieb er witzig, lustig. Sein Lachen war unverwechselbar, seine Ambitionen verloren, seit langem schon prinzipiell, dann aber auch nach und nach graduell
den Zugs ins Rechthaberische und Besserwisserische. Ohne diese Eigenschaften allerdings wäre er zu seinen bahnbrechenden Erkenntnissen nicht gekommen. Es gibt eben immer eine Kehrseite…


Es ist ein schlechtes Jahr, dieses 2021. Bei dieser Gelegenheit erwähne ich noch die Verluste, die an anderer Stelle gewürdigt werden: die von Michael Erlhoff (1946 bis 1. Mai 2021) und von Martin Heller (1952 bis 2021). Ich hatte mit allen viel zu tun, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Intensitäten. Sie alle hatten miteinander zu tun. Solcher Verlust ist schmerzhaft und irritierend. Aber natürlich auch banal, da der Lauf des Lebens eben so ist, zumal bei Oswald, der ein produktives Alter noch hat leben können. Aber es ist eine Irritation, die entsteht, nicht alleine des Fehlens wegen. Aber auch deshalb. Man sieht sich nun mit immer weniger Menschen verbunden, die das betreiben, was vordem abgestützt war durch mehrere. Es wird einsamer im Leben. Eben das ist der Lauf des Lebens. Man sieht sich um: Wieder fehlt einer, auf immer…


Dennoch ist es nicht nur ein Abschied sondern ein Aufruf zu einem anhaltenden Dankeschön.


22. November. 2021
Hans Ulrich Reck, Rektor der KHM von 2014 bis 2020

"VIRTUAL REALITY IST DOCH FAKTISCH DIE Ève future PAR EXCELLENCE"

Oswald Wiener im Gespräch mit Hans Ulrich Reck

RECK: Betrachten wir zu Beginn kurz die Materialien und einige der Implikationen, die der Katalog der 'Junggesellenmaschinen' von 1975 präsentiert. Visualisiert werden soll in Katalog und Ausstellung ein 'Mythos', was beinhaltet, daß es nicht um das Zeichen eines mechanischphysikalischen Funktionierens geht, sondern um ein Phantasma oder eine Obsession, jedenfalls eine mentale Konstruktion, die mythische Kraft erhält oder sich mythische Kraft verschafft. Die Rubrizierung der Entstehung dieses Mythos versammelt in erster Linie Texte - von Achim von Arnim über Shelleys Frankenstein, Poe, Hawthorne und Lautréamont zur eigentlichen Blütezeit des Mythos von 1880 bis 1919 mit Verweisen auf diejenigen Autoren, die auch in den Katalog- Beiträgen immer wieder auftauchen: Villiers de L'Isle-Adam, Jules Verne, Alfred Jarry, Raymond Roussel, Franz Kafka. Kronzeugen aus der bildenden Kunst sind Marcel Duchamp, Francis Picabia, Max Ernst. In erster Linie scheint es sich also um eine literarische Fiktion zu handeln, eine metaphernreiche Obsession. Michel Carrouges hat 1954 sein Buch Les machines célibataires publiziert, in dem er, ausgehend von Duchamps grossem Glas, die Prägung dieses literarisch reich verzweigten Topos untersucht. Carrouges gibt eine begriffliche Bestimmung seines Anliegens. Im Gegensatz zu wirklichen Maschinen und im Gegensatz zu imaginären, aber rationellen und nützlichen Maschinen erscheine die Junggesellenmaschine als unmöglich, unnütz, unverständlich, wahnsinnig. Zuweilen sei sie sogar unsichtbar, da eins mit der sie umgebenden Landschaft. Junggesellenmaschine sei ein Trugbild, dem man im Traum begegnet, im Theater, im Kino, im Übungsgelände der Kosmonauten. Mechanische Elemente tauchen nur auf als Vortäuschung mechanischer Effekte, die wiederum bestimmt sind durch den Unterschied zwischen männlich und weiblich, mechanisch und sexuell. Der eigentliche Brennpunkt des Verständnisses der Junggesellenmaschinen, ob nun phantasmatisch oder verdinglicht, bestehe in der Zurückweisung der Instanz der Frau, der generierenden oder prokreativen Sexualität, also von Zeugung und Fortpflanzung, pathetisch formuliert als Bruch mit dem kosmischen Gesetz. Wie situiert sich dieses Denken der Maschinen in deren Realgeschichte, wie verhalten sich phantasmatische Konstruktion und physikalische Realität zueinander?


WIENER: Nehmen wir zunächst den Aspekt des Sexuellen auf, da er mit dem "Junggesellen" so deutlich bezeichnet wird. Die Verweigerung der Prokreation kann sehr unterschiedliche Motive haben, und auch "Prokreation" selbst kann auf verschiedene Weisen verstanden werden, Fortpflanzung des Lebens, Fortpflanzung eines spezifischen Gen-Pools, Fortsetzung speziell jener Ketten darin, die sich in mir kreuzen, Fortpflanzung der Fähigkeit zu denken und zu fühlen, und anderes mehr. Sollen wir die Maxime hier als Verweigerung jeglicher Schöpfung, jeglicher Kreativität verstehen? Verweigerung des Kindermachens geht beim zivilisierten Menschen im Regelfall Hand in Hand mit Bejahung des Geschlechtsverkehrs - häufig ein geradezu reziprokes Verhältnis, das im Verstand naiven Philosophierens auf ein Überlisten der Natur herauskommt. Jeden Freund des Kalauers wird erfreuen, daß es heute die sexuelle Partnerschaft als solche ist, die die "Keimzelle des Staates" definieren soll. Die Erfindung der "Pille" markiert einen überaus wichtigen Einschnitt in der Geschichte der Zivilisation. Die Verweigerung der Zeugung schließt eben nicht die Ablehnung der Frau ein, ebensowenig folgt aus der Zurückweisung des Weiblichen die Ablehnung der Prokreation, geschweige generell des Kreativen.

Wie sähe ein Feminismus ohne "Pille" aus? Welche Umwälzungen brächte eine Pille gegen den Geschlechtstrieb mit sich? Spitzt man diesen "Mythos" auf den Junggesellen zu, so hat man eine historische Periode im Auge, die Spätphase des Patriarchats. Vom Standpunkt der Frau aus könnte all das, was zur Junggesellenmaschine gehört, genau so gedacht und "mythologisiert" werden. Das ist einer der vielen Punkte, die mich an Carrouges stören: wo bleibt die Jungfernmaschine, die das von ihm gesuchte Problem verdeutlichen würde? Offenbar geht es einerseits darum, die eigene Sexualität dem Bewußtsein des Partners zu entziehen, und andererseits darum, die Masturbation ins Esoterische zu beschönigen. Die von Carrouges ins Auge gefaßten "Maschinen" scheinen mir rituelle Vehikel zum Ausmanöverieren psychischer Barrieren - zum Navigieren in verquarrten Innenwelten, nicht zum Verlassen dieser Welten. Leitvorstellung ist die seelgeistig verbrämte Geschlechtspartner-Prothese, wie ganz deutlich etwa bei Villiers' Ève future. Eine Maschine zum Verlassen dieser Zwänge ist beispielsweise Gazourmah, "der Held ohne Schlaf" des "afrikanischen Romans" Mafarka le futuriste (1909) von Filippo-Tommaso Marinetti. Gazourmah ist der ohne Weib zustandegekommene, nämlich selbstgebastelte "Sohn" Mafarkas. Eine Person in Gestalt eines intelligenten Flugzeugs - der sprichwörtliche Sohn, der es besser haben wird, ein evolutionärer Sprung hinaus aus der vermurksten Psyche des Erzeugers, aus dessen "Erdgebundenheit". Auch hier findet sich die Misogynie als Eigenschaft des ErfinderÜbermenschen, ein Widerwille gegen die sexuelle Schleimerei (Kapitel Le Viol des Nègresses), die als Fessel für die Evolution der Erkenntnis gesehen wird. Sehe ich, was freilich kaum geht, von den Kampfphantasien Marinettis und von seiner Weiberverachtung ab, so scheint mir in der Figur des Mafarka das meiste von dem gebündelt, was ich zum Thema Junggesellenmaschine über das Sexuelle hinaus verstehen könnte. Nämlich der Traum, in höchstem Maß kreativ zu sein: eine Denkmaschine zu konstruieren, die allem Vorhandenen überlegen ist und an deren ganz unvorhersehbaren Schöpfungen man selbst als ein "erster Beweger" beteiligt ist. Ich möchte also festhalten, daß es hier gerade um Fortpflanzung geht, um eine Passage des Progenitors in unbefleckter - gemeint ist: die Beschränktheit des eigenen Erbguts transzendierender - Fortpflanzung. Auch Sade müßte hier eine zentrale Rolle spielen - sein Fehlen in der Präsentation eines solchen Themas würde mich sehr erstaunen, denn man hat ihn oft als einen Denker der Maschine apostrophiert (s. etwa Arno Baruzzi Mensch und Maschine / Das Denken sub specie machinae. München: Fink 1973). Es müssten die "120 Tage" prominent figurieren, wo der Geschlechtsakt mit Prokreation nicht einmal entfernt in Verbindung steht. Das ist zwar allgemein die Bewußtseinslage der Herren gewesen, aber hier dient er einem Tabu-Bruch und einem Durchbruch des Selbstgefühls, wie uns die Interpreten versichern.


RECK: Gerade in den 70er Jahren, als die Junggesellenmaschinen publiziert und an etlichen Orten unter grosser Anteilnahme des Publikums gezeigt wurden, gab es in Frankreich vehemente Diskussionen um die Aktualität de Sades als eines Theoretikers des Bösen in einem systematischen Sinne, dem in gar keinem Falle mit moralischer Suppression begegnet werden dürfe - ich erinnere nur an die Publikation Faut-il brûler Sade? und die Aktivitäten der Gruppe 'Tel Quel' um Kristeva und Sollers: Sade als Konstrukteur einer Aufklärungsmaschine mit Hilfe der Körper, in denen und durch die Sexualität und Fortpflanzung getrennt sind, und zwar ontologisch getrennt. Soweit ich mich erinnere, gibt es bei Sade kaum oder gar nicht die nachträgliche Korrektur der Divergenz zwischen Sexualität und Fortpflanzung, nämlich Abtötung ungewollter Leibesfrucht/Schwangerschaft - Abtreibung ist geschichtlich ja immer ein Korrektiv dieser ontologisch geahnten und zunehmend deutlicher erfahrenen Divergenz gewesen. Bei Sade wird das präventiv geregelt durch Techniken einer gegen die Fortpflanzung generell gerichteten Verausgabung/Verschwendung des Sexuellen und eine Tötung der Körper als Objekte dieserTechniken vor jedem empirisch möglichen Eintreten von Prokreation: OntologischeKonstruktion also einer Aufklärung nach anderen Prämissen als den eingeschliffenen, solcheneiner negativen Vision vom Menschen. Gerade dieses sagt etwas aus über das Funktionieren desMythos, weil nicht mehr die Natur als ein Modell des Wohlgefälligen erscheint. Steigerungegozentrischer Lust über den Unterschied von Kriminalität und ethischer Gutwilligkeit hinaus.Ganz ähnlich, so vermute ich, wollte das Unternehmen 'Junggesellenmaschinen' einen Mythosvon realer historischer Einwirkungskraft fixieren und anschliessend destruieren, um einemanderen Mythos Platz zu schaffen: Vom Mythos der Zeugung der Jungfrau als Gottes(sohn)gebärerin zu einem Zeugungsmodus, der die Herstellung des Übernatürlichengänzlich artifiziell verfolgt. Sind das nur Gedankenwesen oder schon künstliche Wesen? Bietetsich die Frage an, welches die wirklich mythischen Kräfte sind, mit denen die Mitwelt desMaschinellen bis hin zu den Inkorporationen künstlicher Intelligenzen geprägt worden ist - bisweit in die Antike zurück und sich nicht in symbolisch-literarischen Konstrukten erschöpfend.


WIENER: Symbolisch-literarische Konstrukte, die nur in einem Gewaltakt unter irgendeine Rubrik vereinigt werden können. "Literarisch reich verzweigt" kann man unser Thema nennen, weil es sich einem Versuch der Vereinigung des Inkohärenten verdankt - Kafka und Roussel kann man meines Erachtens als verwandt nur unter einem Gesichtspunkt betrachten, der so abstrakt ist, daß sein Nutzen sehr in Frage steht. Vollends verstiegen ist die Bezugnahme auf Arnim. Man muß beispielsweise auch die Schlitzohrigkeit von Duchamp beachten, der sich (in dem im Katalog abgedruckten Brief) für Carrouges' Schlussfolgerungen begeistert, ohne ihnen zuzustimmen.

An Sade aber hätte man die Entwicklung der Junggesellenmaschine erörtern können, man hätte zeigen können, daß es Sade noch allein um die moralische Revolte gegangen war, nicht um den Protest gegen die menschliche Natur, zu schweigen von der Natur im allgemeinen. Denn er setzt die Lust gegen die Fortpflanzung, insofern diese sie rechtfertigen und kanalisieren soll, er spielt also die Natur gegen die Konvention aus und ist mit ersterer hochzufrieden. Hier ist also gewiß noch kein Bruch mit dem kosmischen Gesetz ins Auge gefaßt.

Sicherlich ist die Jungfrau als Gottesmutter nicht auszuschliessen aus dieser Konstruktion, Bazon Brock hat im Katalog ja auch einige Gedanken dazu vorgetragen. Mir wären indessen gewisse Heilige wichtiger, die intensiv gegen ihren Geschlechtstrieb angekämpft haben, und zwar eben im Namen einer außernatürlichen Instanz - im Grund gegen jegliche Schöpfung, jedenfalls gegen jede Originalität, die von ihrer Person den Ausgang nähme. Es ist nur merkwürdig, daß sie für ihren Kampf bisweilen durch etwas belohnt wurden, das sehr nach Lust ausgesehen hat, wenn man den Zeugen glaubt - scherzhaft gefragt: verschafft die Askese einen Zugang zum Hypothalamus?

Ein weiterer Einwand, der sich mir aufdrängt, richtet sich gegen eine Verwendung des Begriffs "Maschine" als Alternative zu "Natur". Wenn man unter Maschine eine Logik versteht, und das muss man wohl - umgekehrt ist auch jede Logik als Maschine zu sehen - dann ist die Gesetzmässigkeit der Logik gar nicht zu trennen vom Bereich natürlicher oder physikalischer Gesetzmässigkeiten. Das ist nur eine Frage der Abstraktionsstufe. Man kann die Abstraktion spielerisch und auch gauklerisch, also täuschend, so weit treiben, daß die abstrakte Maschine als etwas prinzipiell anderes erscheint als die konkrete Maschine. Man kann das natürlich machen - in der Literatur und in der Kunst geht ja alles, wenn man will. Aber dann wird auch sehr bald der Bruch sichtbar, der die metaphysische Schwärmerei von der Einsicht trennt, daß der Begriff der Maschine ein materielles Substrat voraussetzt. Die abstrakte Maschine setzt ein Gehirn voraus, und wie sollte man aus dem aussteigen können?


RECK: Die Vision der Junggesellenmaschinen postuliert die Welt als einen selbstgeschaffenen geschlossenen Kreis. Sie betrachtet die Formen der Verwirklichung von 'Welt' auch begrifflich unter dem Gesichtspunkt eines selbsterzeugten Mythos, einer Autokratie artifizieller Schöpfung. Offenbar hat die den Junggesellenmaschinen zugeschriebene Kraft der Mythisierung etwas mit diesem Gedanken einer souveränen Schöpfung zu tun, wobei unklar bleibt, mit welchen realen Problemen und mit welcher Verschiebung von Komplexität eine solche Schöpfungsvision rechnet.


WIENER: Ich komme noch einmal auf meine Irritation durch den in Frage stehenden Gebrauch des Worts "Mythos" - besonders im Zusammenhang mit "Maschine" - zurück. Ich würde das Wort gern für einen Erkenntnisstand stehen lassen, in dem undurchsichtige, wiewohl regelmäßig auftretende Naturereignisse, beziehungsweise deren Wahrnehmungen, auf die Epiphanie von Personen zurückgeführt werden: Naturgeschichte auf die Geschichte intentionaler Wesen. Eine großartige Untersuchung eines Mythos in diesem mir als der korrekte erscheinenden Sinn geben etwa Giorgio de Santillana und Hertha von Dechend in Die Mühle des Hamlet (Ein Essay über Mythos und das Gerüst der Zeit). Wien: Springer 1994). Die zeitgenössische Rede von der Maschine geht aber von dem gerade entgegengesetzten Gesichtspunkt aus: das intentionale Wesen soll als Automat erklärt werden, das Prinzip unseres Verstehens, Bewußtseins etcetera ist Maschine, noch drastischer: für unser klares Verstehen kann es nichts außer Maschinen geben. Wer hier vom "Mythos (der) Maschine" spricht, will, wie mir scheint, bloß andeuten, daß seines Erachtens der Begriff der Maschine jene Phänomene nicht zu decken vermag. Er will die materialistische Erklärung "transzendieren".

In Freuds Lehre nehmen die Neurosen eine zentrale Stelle ein. Er führt sie, naiv gesprochen, auf Probleme im Umgang mit anderen Menschen zurück, auf Schwierigkeiten, mit Menschen und mit sozialen Umständen in rationaler Weise umzugehen, wobei diese Schwierigkeiten in unserem "psychischen Apparat" angelegt sind. Von dieser Seite her ist ein Motiv der Junggesellenmaschinen natürlich der Ersatz des Anderen, in jeder sozialen Beziehung überhaupt, nicht nur in sexueller Hinsicht. Die Konstruktion einer Welt ist die Konstruktion eines Ersatzes für die Welt, in der der Naive lebt, und in diesem Weltersatz ist der Konstrukteur der einzige Beobachter. Dabei spielt aber auch die Angst vor dem Tod eine grosse Rolle - man könnte ja ein Universum konstruieren wollen, in dem der Tod nicht vorkommt. Von einem weiter zurückgenommenen Standpunkt aus erscheint das natürlich als absurd - soll ich meine jämmerlichen Möglichkeiten in die Ewigkeit tragen? Und selbst gesetzt, der Apparat meiner Einsicht wüchse unbeschränkt, sodaß ich eines schönen Tages, vielleicht in drei Milliarden Jahren schon etwas bin, was ich heute als Gott ansprechen würde, so wüsste ich dann doch noch besser als jetzt, daß der Komplexität nach oben hin keine Grenzen gesetzt sind. Ich würde Maschine bleiben. Und um diese fundamentale Beschränkung zu transzendieren, müßte ich aktual unendlich werden, aber dann verschwindet der Sinn, die Strukturen, die Gestalten, das einzige, das ich habe oder richtiger: bin!

Ist es also Erkenntnisstreben, das nach diesen Junggesellenmaschinen tastet, oder sind es unbewußte Zwänge, ist es einfach Angst? Die Hoffnung, mit dem Ersatz der Welt auch das Leiden an dieser zu eskamotieren? In einer so geschaffenen eigenen Welt würden keine Schmerzen existieren, weil ich als Schöpfer dieser Welt Schmerzen nicht einbauen würde.


RECK: Immer wieder versteht man Wissenschaft als Prinzip von Konstruktion, dem man meint, vermeintlich freiere Verfahren des kreativen Hervorbringens, eine Poiesis also, entgegensetzen zu sollen. Man stellt Berechnung gegen Erfindung, Formalisierung gegen Imagination, Kalkül gegen Intuition. Kunst erscheint in diesem Argument natürlich immer wieder als eine plausible Verkörperung der vermeintlich freieren Poetik. Was aber sollen wir unter so etwas wie 'individuelle Epistemologie' verstehen, wenn dieser Begriff eine geradezu emphatische lebensweltliche Anerkennung findet und keineswegs nur die Regelung von künstlerischen Einfällen bezeichnet, sondern ganze 'Weltbilder'?


WIENER: Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus müssen auch die Fähigkeit zur Erfindung, Imagination und Intuition, als Eigenschaften bestimmter Maschinen erklärt oder zum Teil auch wegerklärt werden. Hier sind keine Gegensätze, Kalküle entstehen aus Intuitionen, Intuitionen aus Kalkülen, der eine Pol ist nichts ohne den anderen. Ein Kennzeichen unserer Erkenntnislage ist, daß wir keine konsensualen Kriterien haben für "Wirksamkeit": Wirksamkeit von Gedanken, Interpretationen, Massnahmen. Ich möchte das mit einem Beispiel illustrieren. Wenn ein Hirnforscher etwas herausfindet über die Weiterleitung von Impulsen im Nervensystem, die von einem Patienten als Schmerzerlebnis kundgegeben werden, und wenn dieser Hirnforscher einen Stoff konstruiert, dessen Applikation solche Schmerzerlebnisse unterbindet, dann hat man ein Beispiel für eine bestimmte Art von Wirksamkeit des Denkens als Eingriff in eine Natur, die, so lautet eine Grundvoraussetzung dieses Forschers, in ihren Gesetzen nicht verändert werden kann. Eingriffe können immer nur als Energie-Übertragungen stattfinden, und die Steuerungsmöglichkeiten der Übertragung sind durch die Naturgesetze beschränkt. Einen solchen Eingriff in diesen Schmerz zu finden, das würde die Wirksamkeit des Denkens zeigen, und damit bescheidet sich unser Forscher.

Der angedeutete Eingriff ist freilich altmodisch, denn er läuft noch über die Außenwelt. Könnte man mit Hilfe einer raffinierten Psychotechnik den Körper dazu bringen, die wirksame Substanz selbst zu synthetisieren? Könnte nicht vielleicht ich selbst das tun, ohne Hirnforscher? Bauen wir den Beispielfall ein wenig aus. Joseph Beuys hat sich dem Vernehmen nach bei gesundheitlichen Schwierigkeiten zuweilen oder anhaltend geweigert, einen Arzt aufzusuchen, und statt dessen versucht, sich selbst zu heilen. Es geht nicht darum, ob das stimmt oder nicht. Man kann sich durchaus jemanden vorstellen, der meint, auf Grund seiner persönlichen Epistemologie eine Möglichkeit gefunden zu haben, beispielsweise durch geistige Konzentration einen Beinbruch zu heilen. Wie könnte sich endgültig herausstellen, daß das nicht geht? Man könnte ja an seiner persönlichen Epistemologie sterben. Dagegen kann man aber anführen, daß die, die im obigen Sinn wirksam denken, auch sterben. Es kommt im Grund immer nur darauf an, daß wir Symptome kurieren, denn nur die Symptome werden bewußt - für die Richtung meines Arguments heißt das, daß der Apparat meines individuellen Denkens bestimmt, wie ich auf das sensorisch gegebene Symptom eingehe. Seine persönliche Epistemologie könnte den Mann befähigen, mit Schmerzen zu leben oder eben mit einem gebrochenen Bein. So, wie man in einem grösseren Rahmen ja auch weiss, daß der Wahn irgendeines Predigers zum Auslöser heiliger Kriege werden kann. Das ist doch wohl eine evidente Wirksamkeit persönlicher Epistemologie. Hier ist nicht reinlich zu scheiden, weil die Unwirksamkeit eines Gerüsts in der Außenwelt immer durch eine Vermehrung der Sparren in einem Kopf kompensiert werden kann. Es gibt zwar eine ganze Bibliothek über den Begriff der wissenschaftlichen Methode. Aber das ist nur ein Vergnügen für Philosophen, denn die Leute, die Wissenschaft betreiben, die lesen solche Bücher nicht und denken über das Problem kaum nach. Wenn man herausfinden will, wie ein bestimmtes Protein zustandekommt, dann sucht man die Kriterien für Wirksamkeit so weit wie nur irgend möglich nach außen zu verlagern, in Bereiche des im weitesten Sinn Unbewußten. Ich habe jedoch noch nie einen Künstler getroffen, der versucht hätte, eine von der bisherigen Chemie unabhängige Erklärung für das Entstehen von Proteinen zu finden. Es hat zwar zum Beispiel Panamarenko gegeben, der Flugapparate gebaut hat auf der Basis seiner persönlichen Epistemologie, aber die Fähigkeit zu fliegen war nicht ein Kriterium dieser Geräte. Solche Werke sollen den merkwürdigen Eindruck reproduzieren, den das Unverstandene hervorruft, wenn es als Klarheit im Kopf eines Anderen gedacht wird.

Wenn nun der Künstler im Extremfall versucht, jene Bereiche und Kriterien der Wirksamkeit ganz in sein Bewußtsein, im Kompromissfall zumindest ganz in den eigenen Kopf, in das als das eigene reklamierte Unbewußte zu verlegen, so bin ich nicht so kleinlich, dagegen anzuführen, daß das einen wohlwollenden Serviceapparat außerhalb des Körpers voraussetzt: "Kritiker", Kellner, Pfleger, etcetera. Ich meine einfach, daß die "reine Poetik" als ein freieres Verfahren des kreativen Hervorbringens nur deshalb erscheint, weil sich der Schöpfer keiner besonderen Anstrengung bewußt wird - es fehlt das Anrennen gegen Randbedingungen, deren Berücksichtigung die Kreation wirksam in einen größeren Zusammenhang fügen würde. Daher errichtet diese Poiesis immer nur "Welten", die hinter der Welt punkto Komplexität unermesslich zurückbleiben. In der Praxis freilich hält jeder Mensch ständigen Kontakt mit seiner Umwelt; da die hier in Frage stehenden Künstler indessen von diesem Angebot nur im Rahmen ihrer "individuellen Epistemologie" Gebrauch machen, kann es auch so nur zu einer verarmten Schöpfung kommen. Und diese Schöpfung muß vor der Berührung mit der Welt geschützt werden. Man nennt das wohl "Spiel", übersieht aber oder nimmt in Kauf, daß damit ein infantiler Zug bezeichnet ist.


RECK: In einem vorbereitenden, gleichwohl schon resümierenden Papier* beschreibt Harald Szeemann die Junggesellenmaschine als einen geschlossenen Kreislauf, mit zuweilen erotischer, zuweilen religiöser Akzentuierung, der in der Gegenwartskunst der 70er Jahre als Wunsch fortgesetzt werde, Maschinen zu bauen, die Kunst als etwas eben so komplexes wie Natur zu produzieren vermöchten. Die Anforderungen an die Konstruktion von Maschinen, die Kunst als etwas so Anspruchsvolles zu produzieren, erscheint mir auch heute wieder als eine reichlich enthusiastische Erwartung an deren Kapazitäten.


WIENER: Es ist sehr kühn, an eine Kunst zu denken, die so komplex ist wie die Natur und zugleich etwas anderes. Nimmt man das ernst, dann müsste das heissen, daß diese Kunst auf jedes natürliche Mittel verzichtet. Wenn sie das nicht tut, verwendet sie ja nur die Komplexität der Natur selber, und das, wie angedeutet, in idiosynkratisch beschränkter Auswahl. Es ist, als argumentierte man, daß ich, wenn ich mir eine Tasse Kaffee zubereite, künstlich etwas herstelle, das so komplex ist wie die Natur: es ist aber faktisch alles daran Natur und nur mein Eingriff ist als das künstliche Moment zu interpretieren. Das Postulat wäre, daß die Kunst ein separates Universum schafft - lächerlich. Kunst ist reine Natur und bedarf des Wohlwollens des Theoretikers, wenn gewisse Züge in irgendeinem Sinn als nicht-natürliche interpretierbar werden sollen. Mir fällt der leichte Schauder ein, der mich immer beim Durchwandeln von individuellen Museen befällt, von Museen, die dem Werk eines Einzelnen gewidmet sind. Der Schauder kommt von der Enge, von der Armut des Werks im Vergleich zu dem Reichtum jenseits der Mauern. Geht es im Grund nicht immer noch um den alten Gegensatz: hier der "Naive Realismus" der Forschung, da der "Idealismus"? Zwar wissen die Forscher auch, daß es ihr Denken ist, das Gestalten aus der Welt schneidet, ihr Bestreben indessen geht dahin, diese Vorstellungen angemessener zu machen, angemessen an etwas Vorgegebenes. Aber der "Idealist" meint eben, durch Umdenken Welten erzeugen zu können, die in ihren letzten Grundlagen ganz anders sind als die auf der bisherigen Entwicklung der Konvention errichtete: es soll ihm nichts vorgegeben sein - auch nicht, und am allerwenigsten, ein Mechanismus des Vorstellens. Gerade in diesem letzteren Punkt, der doch der entscheidende ist, liefe dieser "Idealismus" immer wieder gegen eine Wand, wenn er nicht vorzöge, ihn zu ignorieren.


RECK: Gegen solche Erwartungen, die selber fast schon den Charakter von Junggesellenmaschinen haben im Sinne einer Selbst-Stimulierung und Erregung von poetischer Evidenz - analog zu den von Peter Gorsen im Katalog präsentierten, aus den Kriminalarchiven hervorgeholten Selbsterregungsmaschinen, mit denen Individuen ihre Obsession für geschlossene Kreisläufe auszuleben trachteten - kann man soziologisch einwenden, daß in dem Ausmass, wie in der Kunst zunehmend Gedanken über ihre Autarkie dominieren, ihre gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit fortschreitet - eine Entwicklung, die genau für den Zeitraum gilt, in dem die Dekadenz und Pathologisierung der Künstler als Ausformung einer sich selbst marginalisierenden 'Avantgarde' wahrgenommen worden ist. Die Künstler beschreiben sich seit 1850 zunehmend mit denselben Kategorien wie ihre Gegner: Kränkelnd, charakterlos, dezentriert, unmoralisch, zersetzend, über-erregt, a-sozial. Von aussen wird das summiert als psychopathisch, unverständlich, krank. Das ist historisch datierbar und in der sozialen Mechanik leicht zu verstehen. Tiefer gefragt: Darf man mit einem gewissen Recht vermuten, daß die Herstellung von evolutionären, die Lebenswelt der Menschen beeinflussenden Maschinen seit dem späten 18. Jahrhundert, genau deshalb ausserhalb der Kunst sich abspielt, weil die Kunst sich auf die geschlossenen Kreisläufe ihrer selbst kapriziert und darauf verzichtet hat, die Gesellschaft als etwas komplexes zu formen und dafür Maschinenkonstrukte zu benutzen? Kunst wäre dann ein Audruck der Unfähigkeit, Technologien und Gesellschaft zu manipulieren. Gerade in der Kunst würde sich die mythische Kraft nicht mehr äussern, sondern in den Entwicklungen des Maschinellen, die durch sie nicht mehr begriffen werden können. Das würde die Hilflosigkeit der Kunst gegenüber solchen Fragen nicht einfach als blinden Fleck, sondern als deren Antriebsmechanismus erkennbar machen. Mit der Entwicklung der realen Technologien Schritt zu halten, scheint zugunsten von Phantasmen aufgegeben worden zu sein, durch welche die Kunst in die Lage versetzt wird, sich permanent an sich selber zu spiegeln und die Vorspiegelungen einer auf sich selbst bezogenen Schöpfungskraft durch stetigen Verzicht auf prozessuale Arrangements und bestimmte Experimente immer wieder zu bekräftigen. Die Spur
des Abwesenden wäre dann konsequent markiert durch das Konzept der 'individuellen
Mythologien', die in der Arbeitsbiographie Harald Szeemanns genealogisch eng mit den
Junggesellenmaschinen verbunden sind.


WIENER: Geht diese Kausalität nicht in die umgekehrte Richtung? Gibt die Kunst ihren Einfluß auf die Entwicklung der Gesellschaft auf, weil sie sich auf die geschlossenen Kreisläufe ihrer selbst kapriziert, oder beschäftigt sie sich nicht vielmehr mit sich selbst, weil sie den Anschluß an die bestimmenden intellektuellen Entwicklungen verloren hat? Szeemann betrachtet freilich nur einen kleinen Ausschnitt aus dem unübersehbar gewordenen Bereich künstlerischer Motivationen. Er meint vielleicht, daß das der Kern des ganzen Kunstwollens ist, aber ich wüßte kaum einen Künstler zu nennen, der in solche Vorstellungen paßt.

Wir haben heute "Kunst als Politik" oder wenigstens als politische Stellungnahme; als Entwurf politischer Utopien oder zumindest von Emblemen solcher Utopien, als "Erklärung" der als neu empfundenen Situationen im "Mainstream" der Öffentlichkeit, als "Gesellschaftskritik". Ferner Kunst als Science Fiction - "Wissenschaftspantomime" habe ich das genannt. Des weiteren, und wohl überwiegend heute, Kunst als Unterhaltung. Auch immer noch, selbstverständlich, als Design von Gefälligem. All dies läuft immer noch als Symbolgehabe, Metapher, Metonymie, Karikatur, lokale Analogie ab, lebt von den unausgeführten Konnotationen. Und es gibt, was heute noch nicht jeder sieht, die Kunst des Marktstrategen, etwa die Kunst des Saatchi, der seine Künstler als Lieferanten mehr oder weniger beliebigen Materials begreift, das erst zum Kunstwerk zusammengestellt werden muß - auch Szeemann ist ein solcher Künstler.

Ich wünsche mir etwas anderes: Kunst als eine spekulative, wiewohl ernstgemeinte Beschäftigung mit realen psychophysischen Problemen, die von der Naturwissenschaft noch nicht bearbeitet werden können. Mit "ernstgemeint" meine ich eben den Verzicht auf die anekdotische Anhäufung mehr oder weniger witziger Analogien, die folgenlos bleiben. Das ist natürlich ein Wandeln auf einem schmalen Grat, wie man so schön sagt. Zu einem aufgefaßten Sachverhalt kann man eine unbeschränkte Anzahl von Analogien finden - alle möglichen Mittel helfen dabei: Geräte, visuelle Techniken, Stimulanzen aller Art, am allermeisten die Sprache. Die Geschichte scheint zu zeigen, daß nur ganz bestimmte Arten von solchen Analogien Konsequenzen haben, der ungeheuer überwiegende Teil der Analogien bleibt ohnmächtig, wie die Effekte eines Witzes epiphänomenal bleiben. Nun wäre denkbar, daß man das akzeptiert und meint, daß auch diese Ohnmacht ausgebaut werden könne zu einem grossen Gedankengebäude. Man hat dabei aber, scheint mir, nur zwei Optionen. Die eine ist, ein folgerichtiges Gedankengebäude und eine Logik zu konstruieren. Das ist das einzige, was bei der eigenen Schöpfung als sinnvoll erschiene. Denn wenn man andererseits auf Folgerichtigkeit verzichtet im Ausbau der Analogien, bricht alles zusammen. Also wird es auf die konsequente Analogie hinauslaufen, auf den Wahn, wie die Anderen, die Wissenschaftler sagen. Mir scheint, daß wir in einer Zeit leben, in der dazu fähige Persönlichkeiten nicht existieren. Man muss nämlich ein ganzes Leben lang mit dem äussersten Einsatz an einem solchen Wahn feilen. Solche Heilige, die es früher gegeben zu haben scheint, sind derzeit nicht sichtbar. Was bleibt, ist die Frage: Warum überhaupt eine andere Welt? Dazu gibt es viele Antworten, die über meinen Horizont hinausgehen.

Eine möchte ich dennoch skizzieren: Es ist nicht mehr zu verstehen, was die Wissenschaft und die Technik machen. Wenn einer zum Beispiel verstehen will, was die heutige Physik als abstrakte theoretische Wissenschaft ist, dann muss er, wie ein Pianist, bereits in der Kindheit anfangen, ein Spezialstudium absolvieren, um dann mit 20 Jahren zu den ersten wirklichen Einsichten in dieses Gedankengebäude zu kommen. Sind diese Physiker solche Heilige, ist dieses Gebäude ein Wahn? Jedenfalls wäre es einer, der kollektiv funktioniert, und jede "individuelle Epistemologie" nimmt sich dagegen ärmlich aus. Man sieht das ein, gibt es vielleicht vor sich selbst nicht zu, weil man nicht akzeptieren kann, daß es ein Versäumnis war, auf Grund dessen man nicht zu den Grossen dieser Welt gehört. Dann versucht man eben, ein Grosser in einer Welt zu werden, die man selber macht, und das heißt fast immer: in einer Subkultur, die man immer noch ein wenig beeinflussen kann.


RECK: Kunst hat also, nicht nur entgegen ihrem Selbstempfinden, sondern objektiv keinen eigenen Gegenstandsbereich, ist keine eigenständige Denkform? Muss man dann von einem Riss in der Entwicklung der Künste gegenüber den neuzeitlichen Wissenschaften dergestalt ausgehen, daß es heute nicht mehr geboten schiene, die Gesetze der Optik und die Geräte wie in der Renaissance zu benutzen, um etwas anderes zu malen, sondern daß man durch deren pauschale Zurückweisung auf ein schlechthin Abgetrenntes, 'Visionäres' sich beziehen möchte? Solches wäre in der Renaissance durch die Allianz des Künstlers mit dem Ingenieur undenkbar gewesen. Seit geraumer Zeit scheint es aber doch so zu sein, daß die Künste durch die gesellschaftlichen Entwicklungen überholt und überformt werden. Die Kunst übernimmt erzwungene Inkompetenz und ersetzt sie durch einen anderen Impetus, eine andere 'Haltung', eine beliebige Epistemologie. Zum Beispiel ist die Rede von 'Bild' ja im wesentlichen so beschaffen, auch in der Kunstgeschichte, daß man der Kunst eine besondere Phänomenalität zuschreibt, die visuellen Gesetzmässigkeiten aber von der Kunst fern gehalten werden, die natürlich, sofern sie Bilder herstellt, diesen genauso unterliegt wie alltäglichere Formen der Bildherstellung und -rezeption. Ganz ähnlich kann man einwerfen, daß sich die Junggesellenmaschinen von den real einwirkenden Maschinen entfernen. Nirgendwo spielt die Turing-Maschine in deren Zusammenhang eine Rolle, obwohl Turing sich in vielerlei Hinsicht, selbst biographisch, als Konstrukteur für junggesellenmaschinenspezifische Probleme anböte. Es fehlen Lochkarte oder kinematographische Maschinerien, Babbage ebenso wie John von Neumann. Ada Lovelace, die einen engen Bezug zur europäischen Romantik hat, wird ebenfalls nicht erwähnt. Ein physikalisches Fundament tritt offensichtlich hinter Metaphorisierungen zurück. Ist das per se Indiz des Rückzugs von den wirkungsmächtigen Maschinen in Wissenschaft, Technik und Gesellschaft? Denn immerhin ist zu beobachten, daß gesellschaftlich relevante, technisch die Gesellschaft durchdringende Apparate in den 'Junggesellenmaschinen' nur sehr eingeschränkt auftauchen. Da es hier nicht um besserwisserisch sich wähnende bibliographische oder historische Korrekturen geht, bietet sich an zu überlegen, was das für diese Thematik systematisch bedeutet. Junggesellenmaschinen programmieren ihre eigene, singuläre Welt. In den 70er Jahren gab es aber schon ganz klar benennbare Programmierungskenntnisse und -anstrengungen in der allgemeinen Welt. Auch die Architektur der Doppelhelix ist damals, durch Crick/Watson, schon bekannt gewesen. Es gab also Fragen, die praktisch und theoretisch nicht mehr offen, sondern schon entschieden waren.


WIENER: In der gleichen Zeit, als Crick und Watson - übrigens zusammen mit anderen Personen, die, wie immer wieder in den Siegeserzählungen der westlichen Welt, vergessen werden - ihre Themen bearbeiteten, hat in Cambridge in einer Entfernung von wenigen hundert Metern Ludwig Wittgenstein ein Büro gehabt. Wittgenstein hat in dieser Zeit gemeint, es sei sinnlos,
nach den Faktoren zu suchen, die die Morphologie menschlicher Organismen bestimmen; daß
die Vorstellung einer Erbsubstanz eine Schimäre sei, ein Holzweg. Das hat er in unmittelbarer
zeitlicher und räumlicher Nachbarschaft zu Crick und Watson geschrieben - eine wunderbare
Absurdität. Crick und Watson haben sich ihrerseits an das aus den Anfängen der Wissenschaft
stammende Dogma gehalten, daß die Natur erklärbar sei, daß gleiche Ursachen zu gleichen
Wirkungen führen. Sie haben die heute weithin bekannte Lösung ihres Problems gefunden, eine
auf viele Weisen verblüffende Lösung - wie hat auf Denker wie Wittgenstein die Meldung
gewirkt, daß die Erbsubstanz Komponente eines prototypischen Mechanismus ist? Die Hoffnung,
an die sich Menschen klammern, die nicht wollen, daß wir Mechanismen sind, zum Beispiel
Hoffnung auf Stetigkeit oder Chaos, spielt in diesem Mechanismus nicht die geringste Rolle.
Was könnten diese Überlegungen für unser Thema bedeuten? Zunächst ist festzuhalten, daß hier
ein krasser Materialismus vorliegt, also genau das, was immer noch viele Menschen belächeln
oder verabscheuen. In weiterer Folge erzwingt die Entdeckung von Crick und Watson das völlige
Verschwinden des Geistigen in jeder Hinsicht auf Metaphysik, auf eine res cogitans, die auch nur
in winzigsten Zügen unabhängig wäre von fundamentalen Gesetzmässigkeiten. Ich denke, daß
ein grosser Teil dessen, worüber wir reden, eine Reaktion auf solche Entwicklungen darstellt,
Entwicklungen, die mit Darwins Paukenschlag die breite Öffentlichkeit verstörten. Die
Opposition gegen den Materialismus wundert nicht, man kann sie an sich selber empfinden. Sie
ist in unsere Kultur eingepflanzt. Es gibt heute, wie Paul Churchland schreibt, unter den Leuten,
die ernsthaft über die Leib-Seele-Problematik nachdenken, fast niemanden mehr, der einen
dualistischen Standpunkt einnimmt, während vom Rest der Menschheit, der sich darüber nicht
sonderlich Gedanken macht, eine überwältigende Mehrheit einen impliziten Dualismus verfolgt.
Gehören nicht fast alle Künstler zu dieser Mehrheit? Freilich, wenn es zum Argumentieren
kommt, halten sich die klügeren bedeckt.


RECK: Dann wäre auch ein Kennzeichen der Konstruktion der Junggesellenmaschinen, daß sie zehren von diesem Misstrauen gegen Artifizialität, Mechanisierbarkeit etc?


WIENER: So scheint es mir. Ich bin sicher, daß man diesbezüglich bei entsprechendem Zeit- Aufwand in vielerlei Hinsicht fündig würde. Kommt dazu, daß viele von denen, die als Erfinder solcher Junggesellenmaschinen genannt werden, naturwissenschaftlich nicht gebildet waren. Es waren Originale und Genies, sprachlich überaus begabt, wie gerade das Beispiel Poe zeigt. Aber für das klare Denken ist Sprachbegabung bisweilen ein Hindernis. Und hatten sie Verstand - man könnte wiederum auf Poe weisen - so war es einer, der auf das Konkrete und auf Erscheinungen und Emotionen gerichtet war.

Leute wie Ducasse alias Comte de Lautréamont, über die man allerdings wenig weiss, scheinen kaum Berührung gehabt zu haben mit dem wissenschaftlichen Denken ihrer Zeit. Bekannt sind seine Bezüge auf Pascal, den er aus irgendeinem Grund nicht leiden konnte. Ausgerechnet Pascal, der vielleicht eine der interessantesten Figuren im Hinblick auf die Junggesellenmaschinen ist, weil er einer jener ganz wenigen zutiefst ambivalenten Menschen war, die sowohl profunde Einsichten in mathematischer Hinsicht als auch bezüglich einer spirituellen Sphäre hatten. Vielleicht war es gerade die mathematische Seite von Pascal, die Ducasse zum Protest gegen ihn gebracht hat. Auf der anderen Seite glaube ich, daß die Gesänge des Maldoror mit viel grösserer Berechtigung aus der französischen Schundliteratur abgeleitet werden können als aus irgendwelchen Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Debatten in Wissenschaft und Philosophie. Ducasse war von Kolportage-Romanen beeinflusst, ich nenne nur den Grafen von Montechristo von Dumas, Émile Gaboriaus Monsieur Lecoq (1868), Ponson du Terrail: La Résurrection de Rocambole (1866), eine Linie, die über den Fantômas von Pierre Souvestre und Marcel Allain bis in die Arbeiten von Breton und in Benjamin Pérets grossartigen Wurf Au 125 du boulevard Saint-Germain ausstrahlt. Eugene Sue spielt die allergrösste Rolle für Ducasse, was ja schon die Wahl seines Pseudonyms zeigt. Es gibt eine Geschichte von Sue Der Graf Latréaumont, die, wie alles von Sue ausser Die Geheimnisse von Paris, in Deutschland vergessen ist. Mich hat diese "Welt" des Juif errant und der Geheimnisse von Paris immer wieder sehr stark interessiert, obwohl ich zunächst wenig mehr wusste, als daß es sich seiner Zeit um einen Welterfolg handelte und daß auch Karl Marx nicht umhin konnte, von den Geheimnissen von Paris zu reden, ähnlich wie 60 Jahre zuvor Richardsons Clarissa - dieses Werk gehört ebenfalls zu der angedeuteten Linie - ein Erfolg gewesen war, der auch von Diderot zur Kenntnis genommen werden musste. Aber dann hat mich etwas Spezielleres fasziniert: Der Begriff des "Dandy" als metaphysische Instanz, der zweifellos in den Kontext der Junggesellenmaschinen gehört und der gerade bei Sue eine erste, wenn auch trivialphantastische Überhöhung erfährt. Diese Instanz wird zu einer heroischen, wenn ihr Kampf gegen den Determinismus aussichtslos erscheint, und ich meine, daß sich viele Künstler in einer solchen Rolle sehen. Jedenfalls unterstelle ich das Leuten wie Poe, Duchamp, Jarry und Roussel. Maldoror ist ein Dandy allererster Güte.


RECK: Man kann also, um eine Ausführung von vorhin noch einmal anzusprechen, resümieren, daß in den 70er Jahren, als die 'Junggesellenmaschinen' gezeigt und publiziert worden sind, die Frage einer prinzipiellen Programmierbarkeit von Natur auf der Basis der Entzifferung des Genoms bereits entschieden war.


WIENER: Auch wenn man als Interessierter und Gebildeter vielleicht nicht genau wusste, wie das geht, so war doch allgemein bekannt, daß es sich grundsätzlich so verhält.


RECK: Die Erwartung, daß Kunst etwas produziert, was die Natur an Artifizialität überbietet, ist also eine historische Selbstverblendung, die genährt wird durch die Geschichte des Misstrauens gegen das Mechanische und den Hang zum Metaphysischen?


WIENER: Es ist wohl nicht so sehr Misstrauen als vielmehr die Furcht, selber so etwas Artifizielles zu sein. Es bedeutet jedenfalls, daß man trotz der angeführten Einsichten an einem übernatürlichen Bereich festzuhalten gewillt ist. Es herrscht im übrigen weithin, selbst bei Mathematikern, die Überzeugung, daß das Denken nicht mechanisiert werden kann. Man vertraut im Sinne eines vagen Selbstentwurfs dem Gefühl, selber keine Maschine zu sein. Selbst Leute, deren Aufgabe es ist, deterministische Beziehungen zu konstruieren oder herzustellen, wollen überwiegend diese deterministischen Beziehungen nicht als Maschine angesprochen sehen.


RECK: Harald Szeemann wollte 1975 in die 'Junggesellenmaschinen' auch Computer integrieren, was unter anderem an Kostengründen gescheitert ist. Was lässt sich von heute aus zu dieser Idee sagen?


WIENER: Diese Verbindung ist naheliegend. Da der Computer eine universelle Maschine ist, kann man alles, was folgerichtig ist, auf den Computer legen. Aber auch das Widersprüchliche kann man sich vom Computer erzeugen lassen. Heute hat jeder Kleincomputer einen Zufallsgenerator eingebaut. Daß das Inkonsistente auf einem völlig konsistenten Mechanismus laufen kann, mag verblüffen, aber das Umgekehrte wäre noch viel verblüffender. Es scheint einigermassen evident, daß Szeemann den damaligen schon breiten Diskussionsstand um Computer in seine Thematik nicht einbeziehen wollte oder konnte. Es gab ja schon Programme, die der Öffentlichkeit als intelligente vorgestellt worden waren. Wenn das auch ein wenig vorschnell geschah, um das mindeste zu sagen, so hätte doch eine Beschäftigung mit der Forschung damals schon deutlich gezeigt, in welche Richtung gearbeitet wird, und sicherlich hätte das für das Thema "Junggesellenmaschinen" allerlei hergegeben. Spätestens angesichts des Entwicklungsstands der Computer in den siebziger Jahren hätte man auch schon sehen können, daß die Konstruktion des "Bio-adapters" aus der verbesserung von mitteleuropa keine Utopie mehr war, sondern eine technische Frage. Zwar ist der Bio-Adapter als eine intelligente Maschine konzipiert, doch geht es vordergründig ja nicht um wahrhaftige Intelligenz, um ein ganz spezifisches Zusammenwirken von externer Realität und interner Mechanik, sondern bloß um das Hervorrufen eines Eindrucks von Intelligenz. Und ein System, das weit komplexer ist als ich, wird mir als intelligent erscheinen, auch wenn es nicht im Stande sein sollte, Leistungen zu bringen, die gemessen an seiner Komplexität als originale bezeichnet werden müssten. Im übrigen wissen wir, daß auch schon eine ganz bescheidene Komplexität vielen Menschen als intelligent imponieren kann. Virtual Reality ist doch faktisch die 'Ève future' par excellence. Wenn du deine Neurosen ausleben willst, dann lern programmieren und mach dir ein Weltchen; und nimm in Kauf, daß dein Weltchen den Blick auf die Welt verschließt, in die es eingebettet ist - deine Neurose tut ja auch nichts anderes.


RECK: Die Kreation, die hinter der Prokreation steht, würde nicht zuletzt auf die Diskussion der Turing-Maschine und der Computer abzustützen sein. Diese Erzeugung einer Welt scheint mythisierbar zu sein, mindestens mythologisches Material in Fülle anschlussfähig zu machen, offen zu halten. Realistisch ist die Programmierung einer solchen Welt auf dem Hintergrund der heutigen technologischen Befähigungen keine mythische, sondern eine rein empirische Frage?


WIENER: Ja, eine empirische. Der Zugang zu den Mythen aber lässt sich für mich nur unter einem einzigen Gesichtspunkt verdeutlichen, und das ist der des Anthropologen oder Ethnologen. Der ethnologische Blick hat das Recht, von Mythen zu reden. Er kann auch die wissenschaftlichen Vorgänge als Emanation von Mythen zu begreifen suchen und empirisch wohlfundierte Theorien als Elemente einer Mythologie beschreiben. Das ist ja auch geschehen! Ich glaube freilich, daß sich solche Ansätze wiederum einer leichtfertigen Analogie verdanken: Ethnologen gewissen Schlags sehen - mit einigem Recht! - ihre eigene Wissenschaft als Mythologie und meinen - dies nun zu Unrecht - daß die Naturwissenschaften als Wissenschaften der ihrigen gleichen. Diese Art von Ethnographie und Ethnologie hat bekanntlich starke Anreize aus dem Surrealismus empfangen. Als unterhaltende Kunst ist das wunderbar, der Sache nach gehört es für mich aber zur Fabrikation ohnmächtiger Analogien.

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* Vgl. den erstmaligen Abdruck in diesem Band: 'Die Junggesellenmaschine oder wie heute eine Zusammenarbeit zwischen Ausstellungsorganisatoren und Wissenschaftlern aussehen könnte'.


Quelle: Anhang der Neu-Edition 'Junggesellenmaschinen', hrsg, v. Hans Ulrich Reck und Harald
Szeemann, Reihe 'Medienkultur', Wien: Springer Verlag 1999

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