1940 wurden in Grafeneck 10.654 Menschen, die im Nationalsozialismus unter den Begriff „lebensunwert“ fielen, ermordet. Das inklusive Theater Reutlingen beschäftigt sich in seinem Theaterstück „Hierbleiben… Spuren nach Grafeneck“ mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Die Regisseurinnen Nora Mazurek (KHM) und Yvonne Lachmann (HBKsaar) haben die Schauspieler*innen über einen Zeitraum von zwei Jahren mit der Kamera begleitet.
Der WDR zeigt den Dokumentarfilm „Lebensunwert“ (2025, 43 Min.) von Nora Mazurek und Yvonne Lachmann erstmals im Fernsehen. Redakteur Maik Bialk hat das gemeinsame Filmprojekt der KHM-Studentin Nora Mazurek und ihrer Co-Regisseurin Yvonne Lachmann (HBKsaar) für die Sendereihe „Menschen hautnah" ausgewählt. Ausgangspunkt des Films ist das außergewöhnliche Theater mit dem Namen „Die Tonne“ in Reutlingen. Seit 2005 arbeitet der Intendant Enrico Urbanek dort mit Menschen mit Beeinträchtigungen zusammen. Das inklusive Ensemble beschäftigt sich in seiner Arbeit „Hierbleiben… Spuren nach Grafeneck“ mit der nationalsozialistischen Vergangenheit von Grafeneck im Landkreis Reutlingen. Die Regisseurinnen begleiten in ihrem Film „Lebensunwert“ die Schauspieler*innen bei der Entstehung und Aufführung des Straßentheaterstücks und geben Einblick in ihre unterschiedlichen Leben und Ansichten.
„Für mich ist es eine Gratwanderung. Wie gehe ich an dieses Thema ran, wie spiele ich das?“ Gabriele Wermeling soll sich als Schauspielerin in dem neuen Stück ihrer Theatergruppe der Geschichte der Tötungsanstalt Grafeneck stellen. Hier ermordeten Nationalsozialisten 1940 insgesamt 10.654 Menschen, die unter den Begriff „lebensunwert“ fielen, in einer Gaskammer. Die Opfer kamen aus ganz Deutschland, denn Grafeneck war Teil eines Pilotprojektes. Hier erprobten die Nationalsozialisten das systematische, industrielle Töten zum ersten Mal, bevor es später im großen Ausmaß in Ausschwitz und in anderen Lagern angewendet wurde. Gabriele Wermeling kämpft mit wiederkehrenden Psychosen und auch die anderen Schauspielerinnen und Schauspieler ihres Ensembles „Die Tonne“ haben psychische, körperliche oder geistige Beeinträchtigungen. Und so ist das neue Stück der Theatergruppe für alle aufgrund seines Themas eine Herausforderung. Gabriele Wermeling will ihre Rolle dennoch „frei von Angst spielen“.
Der Film begleitet die inklusive Gruppe des Theaters Reutlingen über zwei Jahre mit der Kamera bei der Entstehung und Aufführung des Straßentheaterstücks. Dabei gibt er zugleich tiefe Einblicke in das Leben von Seyyah Inal, Anne-Kathrin Killguss und Gabriele Wermeling. Die Darsteller*innen erleben in der Auseinandersetzung mit dem Thema, wie ihr Schicksal vor circa 80 Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgesehen hätte. Ausgelöst durch die Beschäftigung mit Grafeneck stellen sich für sie Fragen nach ihrer gesellschaftlichen Anerkennung im Hier und Heute, nach der Wertschätzung ihrer Arbeit bis hin zur Rolle in der eigenen Familie. Denn auch im Privaten ringen sie oft darum, „für voll genommen“ zu werden.
„Lebensunwert“ ist eine berührende Dokumentation über die persönliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Zugleich zeigt der Film, dass die Frage nach dem Wert, den wir dem Leben zumessen, aktueller denn je ist. (Quelle: Pressetext WDR)
„Lebensunwert“, Dokumentarfilm, 2025, 43 Min.
Das Team – Regie: Yvonne Lachmann, Nora Mazurek; Kamera: Nora Mazurek; 2. Kamera: Philip Müller; Ton: Yvonne Lachmann; 2. Ton: Pina Beres; Montage: Yvonne Lachmann, Nora Mazurek; Schnittassistenz: Max Derouet, O-Ton-Schnitt & Sounddesign HBKsaar: Uwe Bossenz; Tonmischung KHM: Ralf Schipke; Colorgrading KHM: Fabiana Cardalda; Betreuung: Prof. Marcel Kolvenbach (KHM), Prof. Oliver Schwabe (KHM), Prof. Sung-Hyung Cho (HBKsaar); Redaktion: Maik Bialk (WDR); Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln, Hochschule der Bildenden Künste Saar, Nora Mazurek und Yvonne Lachmann
Nora Mazurek absolvierte ihren Master in „Media Art and Design“ an der HBKsaar 2018. Seit 2020 studiert sie als Postgraduierte an der Kunsthochschule für Medien Köln. Der Dokumentarfilm „Spuren nach Grafeneck“ (2023, 90 Min.) in Co-Regie mit Yvonne Lachmann ist ihr erstes Projekt im Studium an der KHM.
Yvonne Lachmann studiert „Media Art and Design“ bei Prof. Sung-Hyung Cho an der HBKsaar und steht kurz vor ihrem Diplomabschluss. Sie lebt und arbeitet als Autorin, Schauspielerin und Filmemacherin in Saarbrücken.