Friedrich Kittler hielt am 3. Februar 2011 an der Kunsthochschule für Medien Köln einen Vortrag über Musik und Mathematik im Rahmen der Ringvorlesung „Die Künste und die Wissenschaften“. Dieser Vortrag ist nun als erster Band der neuen Publikationsreihe der KHM erschienen. In der LECTURE-Reihe, die im Verlag der Kunsthochschule für Medien Köln erscheint, werden künftig aktuelle Gespräche, Vorträge und Debatten im Feld der Künste und der Wissenschaften veröffentlicht, denen eine experimentierende Geste, die Haltung des Vorläufigen zugrunde liegt.
Friedrich Kittler beschäftigte sich im letzten Dezennium seines Wirkens umfassend und intensiv mit dem Verhältnis von Musik und Mathematik. Es war ihm wichtig zu untermauern, dass die Mathematik eine Kunst und daher Gegenstand der Kulturwissenschaften sein müsse. Insofern gehört er zu jenen, die eine Trennungsgeschichte der Künste und der Wissenschaften bestreiten. In Anlehnung an sein in zwei Bänden erschienenes Werk „Musik und Mathematik“ geht er in dem Vortragstext den Verwicklungen zwischen musikalischer Ästhetik und den Epistemen der Mathematik nach und entfaltet seine Vorstellung vom Fortgang von Musik und Mathematik in die europäische Neuzeit: Ausgehend von Odysseus‘ Bogen als schwingender Saite und dem arithmetischen Modell der Zahlsteinchen der Pythagoreer begründet er die Aufdämmerung der reellen Zahlen um 1600, die zur Entdeckung der temperierten Stimmung führen. Er beschreibt die erste graphische Simulierung einer schwingenden Saite und die Entdeckung der Obertöne, zeigt, dass sich selbst der Weltwille Schopenhauers in den widersprüchlichen Prinzipien der Temperierung und der Obertönigkeit äußert und landet schließlich beim berühmtesten Es-Dur-Dreiklang der Musikgeschichte. „Man muss nur den Begriff einer realitas, einer Wirklichkeit fallen lassen, von der es dann heißt, die Wissenschaften könnten sie erkennen und die Künste müssten sie verfehlen. Also wenn man so einen Wirklichkeitsbegriff hat, dann kann man Kunst und Wissenschaft problemlos und fälschlich auseinander reißen. Mir ist klar geworden, es gibt ohne Musik keine Akustik und ohne Pythagoras und ohne Akustik gibt es keine Musik. Wo soll eigentlich in der Musik die Wirklichkeit sein, außer in der Wirklichkeit der Musik selber?“ (Friedrich Kittler, Und der Sinus wird weiterschwingen, S. 39)
Orientiert an der künstlerischen und wissenschaftlichen Praxis der KHM veröffentlicht der Verlag der Kunsthochschule für Medien Köln begleitende Publikationen zu öffentlichen Veranstaltungen, Ausstellungen, Symposien und Vorträgen und ermöglicht Lehrenden und Studierenden, Resultate ihrer Arbeitsprozesse und künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung zu publizieren.
Friedrich Kittler – Und der Sinus wird weiterschwingen \ Über Musik und Mathematik
Köln: Verlag der Kunsthochschule für Medien Köln, 2012
Redaktion: Karin Harrasser, Anneka Metzger
Gestaltung: Christa Marek
2012
64 Seiten, 11,5 x 16,5 cm, Paperback, Auflage: 500
LECTURE 01
ISBN 978-3-942154-17-8
Preis: 9.00 EUR
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