Eine Theorie der politischen Gegenwart – als Publikation bei Suhrkamp Wissenschaft erschienen.
"Die liberale Demokratie fällt auseinander, sie erodiert, sie implodiert. Einschätzungen dieser Art sind seit langem zu hören – nicht erst seit der Ausrufung der »illiberalen« Demokratie oder der Finanz- und Schuldenkrise von 2008 und der anschließenden EU-Austeritätspolitik. Entgegen der Annahme bloß temporärer Krisen eines grundsätzlich immer weiter fortschreitenden Erfolgsprojekts war die liberale repräsentative Demokratie nie intakt. Sie war nie die Verwirklichung der besten aller möglichen Regierungswelten, die Freiheit und Gleichheit für alle garantiert. Seit der Herausbildung ihrer modernen, europäischen Form ist sie von Herrschaftsverhältnissen durchzogen, gegen die immer wieder Widerstand ge-leistet wurde. Was sich in der Gegenwart krisenhaft zuspitzt, ist der aktuelle Stand einer immer schon umkämpften Regierungsform." (Aus der Einleitung)
Inmitten der Krisen und Bedrohungen der liberalen Demokratie entwickelt Isabell Lorey eine Demokratie im Präsens, die politische Gewissheiten ebenso aufbricht wie lineare Vorstellungen von Fortschritt und Wachstum. Mit ihrer queer/feministischen politischen Theorie formuliert sie eine grundlegende Kritik an maskulinistischen Konzepten von Volk, Repräsentation, Institution und Multitude. Und sie entfaltet einen originellen Begriff von präsentischer Demokratie, der auf Sorge und Verbundenheit, auf der Unhintergehbarkeit von Verantwortlichkeiten beruht – und ohne vergangene Kämpfe und aktuelle Praktiken sozialer Bewegungen nicht zu denken ist.
"Eine präsentische Demokratie hat mit (...) authentizistischen Unmittelbarkeiten nichts zu tun. Sie entfaltet sich in einem völlig anderen Verständnis von Gegenwart. Die Zeit der präsentischen Demokratie ist die Jetztzeit, wie Walter Benjamin sie entworfen hat, und sie lässt sich als infinitive und ausgedehnte Gegenwart begreifen. (...) Keine identitären Konfrontationen von »Wir« und »Sie«, keine Dichotomien von Konsens und Konflikt oder Bewegung und Partei. Präsentische Demokratie ist ohne ›Volk‹ und ohne Nation. Statt Grenz- und Migrationsregimen sind ihre Grenzen Sexismus und Rassismus, Homo- und Transphobie, Kolonialismus und Extraktivismus." (Aus der Einleitung)
Isabell Lorey ist seit 2018 Professorin für Queer Studies an der Kunsthochschule für Medien Köln.
Demokratie im Präsens – Eine Theorie der politischen Gegenwart
Erschienen: 14. September 2020
suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2327, 217 Seiten
ISBN: 978-3-518-29927-2
Auch als e-book erhältlich