Das Heft greift Fragen von Subjektivierungsweisen und ihre Ökonomisierung im Digitalen aus einer queerfeministischen Perspektive auf, als Effekte einer umfassenden Digitalisierung und deren Vernetzung von Sozialen Medien, Biometrie- und Surveillance-Anwendungen, Fitness-Trackern, Dating-Apps und Plattformen etwa für Gig-Economy, Home-Office, Videokonferenzen, Lernen und Shopping. Hierdurch stellt sich zunehmend die Frage nach dem Verhältnis von menschlichen, widerständigen Subjekten und den Datenspuren über diese Subjekte. Diese werden mittels Computersystemen, KI-Anwendungen oder intelligenten Agent*innen erhoben und ausgewertet. Nicht allein klassischer Web-Content wie Bilder, Musik, Videos oder Texte werden so als mess- bzw. quantifizierbar behandelt und in Datenflüsse konvertiert, sondern auch Körper, Praktiken, Erfahrungen und Affekte. Wie funktioniert Subjektivierung in dieser vernetzten Welt? Was bedeutet es für den Status des verkörperten Subjekts in den alltäglichsten Angelegenheiten gleichzeitig auch Datenkörper zu produzieren? Wie wird Subjektivierung selbst für informationstechnische Verarbeitung zugänglich?
Datenspuren können hier zu Profilen aggregiert werden, die ökonomisch verwertbar sind und mitunter auch Kategorisierungen wie Race, Class und Gender automatisiert neu enkodieren und Kritik daran verkomplizieren. Um auf hier stattfindende spezifische Vergeschlechtlichungen, Rassifizierungs-, Heteronormalisierungs- und Subjektivierungsformen eingehen zu können (Benjamin 2019; Browne 2015), braucht es konkrete Analysen zu Materialität und Subjektivität im Digitalen, die sowohl die Eigenlogiken von digitalen Technologien als auch die von Körpern ernst nimmt. Von Körpern abstrahierte, aber doch Körpern zugeschriebene Daten werden in Profile oder Data Doubles transformiert, die – obwohl sie Repräsentationslogiken überschreiten – oft als direkte Abbildungen der physischen Realität interpretiert werden (Kämpf & Rogers 2018). Mit der Verdatung des Organischen entstehen neue Zugriffspunkte für verschiedene Ökonomisierungs-, Regierungs- und Herrschaftspraktiken (Fitsch & Friedrich 2018; Rouvroy 2013; Aradau et al. 2008), aber auch Ansätze für Interventionen.
In feministischen Science & Technology Studies wurden Verknüpfungen von Körpern und Technologien häufig als cyborgisch, als Assemblages und Resultate spezifischer Grenzziehungspraktiken diskutiert. Ein Beispiel für eine dieser Grenzziehungen findet sich in Teilen (auch feministischer) Medien- und Kommunikationswissenschaften, die das Digitale als Ort des Affektiven ausmachen. Der Affekt wird dabei in Abgrenzung zur Emotion bestimmt und erfährt dadurch eine vordiskursive, ontologische Basis und agiert als neue Verbindung zwischen Leben und Technik (Angerer 2014). Wie wird hier also das Nicht-Digitale, wie zum Beispiel der Körper, vom Digitalen abgegrenzt und welche Naturalisierungstendenzen entstehen dadurch?
In der Kunst sind in den letzten Jahrzehnten wichtige Verhandlungsräume für das komplexe Verhältnis von verkörpertem Subjekt und von ihm abstrahierten Daten entstanden. Beispielsweise zeigt sich in Sondra Perrys Videoinstallation Graft and Ash for a Three Monitor Workstation (2016) ihr Data Double als schiefe Kopie, der Versuch der Repräsentation des schwarzen dicken Körpers via Avatar ist technologisch zum Scheitern verurteilt. Digitale Mis/repräsentationen wird so im Zusammenhang mit neoliberalisierter Arbeit, Subjektivierung, spezifisch digitalen Formen der Rassifizierung, Materialität und Körperlichkeit reflektiert.
Im geplanten Heft der feministischen studien sollen Fragen nach Subjektivierung und Materialität im Digitalen aus feministischen wissenschaftlichen, politischen und künstlerischen Perspektiven zusammengebracht werden.
Gesucht werden Beiträge zu folgenden Fragekomplexen:
Die Zeitschrift feministische studien für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung Nr. 1/2022 wird 6 bis 8 Beiträge zu diesem Schwerpunkt enthalten, und zwar Aufsätze (bis 40.000 Zeichen) und Diskussionsbeiträge (bis 25.000 Zeichen, incl. Leerzeichen), die nach einem double blind peer-review-Verfahren begutachtet werden.
Wir laden Euch/Sie herzlich ein, bis zum 28. Juli 2021 ein Abstract von bis zu 2.000 Zeichen bei den Herausgeberinnen des Schwerpunktheftes, Dr. Hannah Fitsch (Technische Universität Berlin, hannah.fitsch(at)tu-berlin.de) und Katrin M. Kämpf (Kunsthochschule für Medien, Köln, kaempf(at)khm.de) sowie bei manuskripte(at)feministische-studien.de einzureichen. Wir freuen uns sehr auf eure Vorschläge und sind an einem interdisziplinär, intersektionalen Austausch über die oben gestellten Fragen interessiert.