„Snapshots carry little information, They are probable. But some of them are highly informative, difficult to futurize; and for a curious reason: they are bad photos. They owe their information to an error, to a deviation from the camera program. New biological species arise through errors in the transmission of the genetic program. “ (Vilém Flusser) Irgendwo in einem Hinterhof wurden vier Räume geschaffen. Es sind klar begrenzte Balkone. Sie zeigen sich als nachempfundene Umgebungen mit einigen leuchtenden Accessoires. Trotzdem bleiben sie als Stilisierungen städtischer Lebensräume kulissenhaft. In diese Sets brachte die Fotografin Charlotte Krauss Schauspieler und Laiendarsteller. Sie besetzte ihre Schauspieler als Typen. Es gab den Gärtner, „Lovis“, den kleinen Jungen, die Familie, das Liebespaar und die Partybesucher. Sie hatte eine Simultanerzählung im Sinn, stattete ihre Schauspieler mit Kostümen aus. Ihre Rollen durften die Darsteller selbst entwickeln: Der kleine Junge konnte mit den Bergen von Spielzeug machen, was er wollte. Die Partygäste sollten eine Party feiern, mit Partyspielen, wenn sie wollten. Die Familie sollte zu einem Familientreffen zusammen kommen, vielleicht gab es Streit. Das Liebespaar war gerade erst eingezogen, frisch verliebt. Vorab entstanden die großen Tableaus. Die Fotografin machte sich ein Bild von ihrer Inszenierung, dann verließ sie das Set und überließ jeder Gruppe eine Kamera. Vilém Flusser unterscheidet zwischen drei Typen von Fotografien: solche, die mit einer vollautomatisierten Kamera gemacht wurden, die etwa für die Erhebung wissenschaftlicher Information beispielsweise von der Nasa genutzt werden. Außerdem geht er von professionellen Fotografien und von Amateur-Fotografien aus. Er unterscheidet die Geste des Amateurfotografen von der intendierten Haltung des professionellen Fotografen. Der Amateur drückt auf den Auslöser und lässt die Kamera arbeiten. Er achtet nicht auf den perfekten Bildausschnitt, es geht ihm um jeden Augenblick, er knipst, was vor die Linse kommt. Der Profi hat ein Konzept, er kennt die Funktionen seiner Kamera und weiß genau, welches Licht er braucht. Charlotte Krauss spielt für ihre Fotoarbeit mit der Bandbreite der inszenierten Fotografie und nimmt die Amateur-Fotografie darin auf. Der inszenierte Rahmen, das durchgestaltete Setting und die Accessoires beeinflussten die Handlungsweisen der Schauspieler. Sie versuchten einen Habitus zu entwickeln, sich ihrer Gruppe oder Rolle anzupassen. Nachdem die Fotografin das Set verlassen hatte, gestalteten sich die Ereignisse freier und unvorhersehbarer. Das Spiel geriet in eine hybride Lage zwischen Inszenierung und Realität. Es wurde gefeiert, gelacht, beobachtet, gespielt, gestritten und vieles mehr. Die Aufnahmen mit unterschiedlichen Kameras (Handy-Kamera, analoge Mittelformat-Kamera, u.a.) wirken wild und ungezähmt. Teilweise sind sie verwackelt, überbelichtet, kaum eines scheint genauer geplant zu sein. Und doch erzählen die Bilder viel über die Situation, die Blicke, die Rollen, die Menschen – aber sprechen dabei doch die Sprache der jeweiligen Kamera (Format, Lichtstärke, etc.). Flusser ahnte 1986 bereits, dass in Zukunft Bilder auf digitalen Displays in Massen kursieren würden. Heute lassen sich die Überlegungen auf die sich ständig multiplizierenden Schnappschuss-Bilder im Internet übertragen. Dadurch, dass die Fotografin sich die Amateuraufnahmen zum Schluss zurückholt, ordnet und mit ihren Tableaus zusammenbringt, wird der Simulationscharakter ihrer Arbeit sichtbar. Sie bringt die Bilder in eine Ordnung (so könnte es gewesen sein), macht sie simultan (in unterschiedliche Richtungen) lesbar, rückt sie damit quasi in eine filmische Linearität. Text: Julia Sprügel
Collaboration:
Regieassistent: Gerrit Booms
Kameraassistenz: Almut Elhardt, Theresia Tarcson
Licht: Frank Mai
Ausstattung: Claudia Sárkány
Kostüm: Laura Weidmann, Merit Zika
Maske: Luisa Herold, Virginia Vogel
Baubühne: Daniel Söpper