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Die KHM trauert um Prof. Barbara Köhler

Barbara Köhler

Die renommierte Schriftstellerin, geschätzte und beliebte Professorin und Kollegin ist letzten Freitag mit 61 Jahren verstorben.

12. Januar 2021

Mit Barbara Köhler gewann die KHM vom Wintersemester 2018/19 bis zum Sommersemester 2020 eine erfahrene und engagierte Autorin, Lyrikerin und Übersetzerin als Gastprofessorin für den Studienschwerpunkt Literarisches Schreiben.

Ihr Tod geht uns sehr nah. Daher folgen einige Stimmen aus der KHM!


Ich erinnere mich an Seminare, die so tiefglühend eindrangen/inspirierten, Denken und Fantasie ankurbelten, forderten, weil schöne neue Vernetzungen, Verwebungen im Umgang mit Worten regelrecht im Kopf spürbar zu sein schienen, Denkbewegungen bewirkten - sie hat uns in ihre Sprache, in ihr Sprachspiel eingeführt, eingeleitet, ganz sachte natürlich, sehr ungezwungen, gar nichts aufgedrängt, sondern eher angeboten mitzuspielen - ich hatte immer das Gefühl, sie sei sehr bei sich und sehr bei uns, zart und vorsichtig eigentlich, aber doch ungemein bestimmt im eigenen Stil. (Ella Kühn, Studentin)


Ich bin sehr traurig und gleichzeitig dankbar für die Zeit, die ich mit Barbara verbringen durfte und für alles, was ich von ihr lernen durfte. Sie hatte wirklich ein offenes Herz und einen freien Geist. Ich werde sie sehr vermissen. (Henrik Hillenbrand, Student)


Barbara schien sich eine kindliche Lebensfreude bewahrt zu haben. Den Studierenden gegenüber war sie immer so herzlich und ehrlich zugewandt. Sie hat in unkonventioneller Art Begeisterung vermittelt. Sie hat uns beispielsweise dazu inspiriert, Wortlisten anzulegen für Worte, die wir komisch finden, nicht mögen etc. Manchmal saßen wir zu dritt oder viert in ihrem Büro, haben Tee getrunken und Texte seziert. Man konnte sich mit ihr eine Stunde über einen Satz unterhalten und es wurde nicht langweilig. (Inga Fischer, Studentin)


Barbara Köhler stürmte in den Seminarraum, schrieb das Wort »Present« an die eine Seite des Zimmers und »Tense« an die andere. Dann setzte sie sich und schwieg zwanzig Minuten lang, wir alle schwiegen und danach schrieben wir. In den letzten Tagen habe ich viel geschwiegen und an Barbara gedacht, wie wir in ihrem winzigen Auto viel zu schnell durch Duisburg, Havixbeck und Münster rasten, wie sie uns zusammen mit Ulf Stolterfoht für den vielleicht gar nicht existierenden Dichter John Barton Wolgamot begeisterte, wie wir uns zu dritt in ihrem Büro beim Tee die Odyssee vorlasen. Egal, wie viele oder wenige wir waren, sie schickte uns voller Elan und Herzlichkeit in die Welt. Ich werde ihr immer dankbar sein und vermisse sie sehr. (Thomas Empl, Student)


In Seminaren und Gesprächen mit Barbara fühlte ich, wie selten sonst, die gemeinsame Verantwortung, den Moment zu gestalten. Der Weg, den man mit Barbara ging, war selten beschritten und musste in Zusammenarbeit erst freigelegt werden. Barbara begegnete mir, uns, meistens als eine Lehrerin, die auf ganz besondere und inspirierende Weise die Institution und ihre Rolle darin befragte. Die es gar nicht erst versuchte, die Komplexität des Verhältnisses zwischen ihr, der Institution und ihren Studierenden zu verschleiern. Vielleicht ist es mit ihren Texten ähnlich? Beim Lesen (und Hören!) ihrer Gedichte jedenfalls habe ich den Eindruck, dass es ihr gelingt, die Prekarität, Verletzlichkeit und Mehrdeutigkeit des Lebens und ihrer Beziehungen und das Vorhandensein dieser Prekarität in der Sprache erkennbar zu machen. (Jascha Sommer, Student)


Ich habe noch keine Person getroffen, die nicht von ihr geschwärmt hat. Die aus meiner Erfahrung typische Reaktion auf Barbara war Begeisterung, weil sie eine so offene, neugierige und leidenschaftliche Person war, die immer auf sehr eigene Weise zu wissen schien, wie sie Prioritäten setzen wollte, und deren oberste Priorität ihre Liebe zum Wort war - eine Liebe, der sie ihre Person, ihr Ego, Prestige und materielle Besitztümer bescheiden hintanstellte. Sie hat sich verletzlich gemacht, auf eine radikale und mutige Art, die durchlässig war, ungeschützt, und es trotzdem, und vielleicht auch gerade deshalb, geschafft, ihre Leidenschaft zu bewahren. Barbara löste Begeisterung aus, weil sie sich begeistern konnte. Sie ließ sich berühren. (Martin Baumeister, Student)


„Hallo WG!“, rief Barbara immer, wenn ich in die Wohnung unserer Kölner Freunde kam, in der wir oft bis in die Nacht zusammensaßen und erzählten, Elizabeth Bishop aus dem Kopf zitierten (sie) oder Jürgen Becker vorlasen (ich), und noch einen letzten Obstbrand nach dem letzten Obstbrand tranken, weil noch nicht alles gesagt worden war über Duisburg und Istanbul, über das nächste Gedicht, das immer das schwerste ist. Wohin ist Barbaras Zuversicht, ihre Klugheit, wohin ist ihre unbändige und mitreißende Lebensfreude entwichen? „Now, it’s all right now / even to fall asleep / just as on all those nights."

(Nadja Küchenmeister, künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin)


Der von ihr in ihrem Büro zurückgelassene Zettel „Gegenwarte“ ist kein Zufallsfund. Barbara Köhler war eine der gegenwärtigsten Autorinnen, deswegen werde ich ihre persönliche Abwesenheit als temporär einstufen. Wer dies nicht glaubt - ihre Texten immer wieder kennenzulernen ist dafür hilfreich. (Prof. Kathrin Röggla)


Ich möchte nur ihren funkelnden, freudigen und manchmal ironischen Blick heraufbeschwören. Und ich denke an deine warme Hand in meiner, als wir nach einem gemeinsamen Arbeitstag im Garten der KHM saßen. Eine schöne Intensität hat dich beherrscht, Barbara. (Prof. Sophie Maintigneux)


'Die, Sie, Barbara, die sie, hat gekämpft. Sie war; und ist neugierig, engagiert und optimistisch; gewesen. In der Kommission, sie, im Frühling - zeichnend und sprechend - von der harten Krankheit; offensichtlich, für uns, ihr sie. Mit Intensität, Texte, hat sie, uns, für uns und sich, gelesen, kritisiert, gelobt; sie hat sie, argumentiert; mit Herzleid, ihrem und unserem, und dem Hirnschmalz. Sie und ich werde sie vermissen, sie, von uns, allen. Nun fehlt uns etwas, mehr und ist weniger. Bussi.’  (Prof. Hans Bernhard)


sie ist es. die geht. - lauten die letzten zeilen eines gedichts von barbara köhler, in dem sie vorführt, dass jemand nur fortgehen kann, wenn auch jemand bleibt. nun ist barbara fort & geblieben sind uns erinnerungen, an ihrer ehemaligen bürotür ein aufkleber: literatur ist lebensmittel, bilder von quittenbäumen im postfach, der eindruck von herz & kampfgeist, von jemandem, der nicht nur auf, sondern auch hinter und neben die worte schaut. sie ist es. die fehlt. (Juliana Kálnay, künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin)


I did not know Barbara well, but we did share the intense time of the Diplom 1 Festellungskommission this time last year. In the 3 weeks that we spent together I developed a real affection for Barbara. She was a person bursting with warmth, kindness and vitality, even although towards the end of our time on the commission she was in obvious and significant pain. I was particularly touched by the respect and admiration she had for the young writers whose work she appreciated. Barbara showed a joy and deep enjoyment of how a younger generation were exploring and experimenting with language. I will keep very fond memories of someone who was obviously a very special person. (Sam Hopkins, künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter)


Nicht nur Gedichte – aber da kommen sie ja her: fast jedes Gedicht ist ein potenzieller Klangkörper, jede*r Lesende kann damit zu einem werden. Klangkörper: in Resonanzen, Interferenzen entstehen rhythmische Ereignisse." so fängt er an, der text unseres geplanten gemeinsamen seminars "klangkörper", zu dem es wegen barbaras krankheit leider nicht mehr gekommen ist.
tief beeindruckend ihre grimmig-humorvolle art, mit der zunehmenden eigenen zerbrechlichkeit umzugehen, bis ins letzte videotelefonat.
jetzt hat sich - nicht ohne beträchtliche schmerzen- der klang vom körper gelöst. die resonanzen werden noch lange nachklingen.
adieu, barbara - in dankbarkeit.
(Prof. Hans W. Koch)


Liebe Barbara, in unserer Zusammenarbeit habe ich Dich als ruhig, klar, unaufgeregt und mit feinem Gefühl für die Situation und die Menschen kennen und schätzen gelernt. Und ich habe es tatsächlich befürchtet, dass Du schon gehst. Das ist bitter. Zum Trost lese ich ich noch einmal Deine lakonischen Gedichte: 
"Café Sans . Adieu 
... fällt ins Gesicht das wahre ich
der kellner sagt den preis
ich zahle und geh"
(Prof. Frank Döhmann)

Barbara Köhler studierte von 1985 bis 1988 am Institut für Literatur "Johannes R. Becher" in Leipzig. Sie arbeitete seit 1991 als freie Schriftstellerin und Übersetzerin, sie lebte seit 1994 in Duisburg.

Sie übersetzte beispielsweise Gertrude Stein und Samuel Beckett. Ihre lyrischen und essayistischen
Werke erschienen unter anderem bei den Verlagen Suhrkamp, Dörlemann und Lilienfeld, zuletzt vor allem in der Edition Korrespondenzen.

Neben Veröffentlichungen von Gedichtbänden – ihr erster Gedichtband Deutsches Roulette erschien 1991, der letzte mit 42 Ansichten zu Warten auf den Fluss im Jahr 2017 –, von Essays und Übersetzungen arbeitete sie auch mit Text im Raum: Audio-Installationen, Schriftbilder, Multiples und Texte für öffent­liche Räume sowie private Gärten, gelegentlich auch zusammen mit bildenden Künstlerinnen.

Um einen Text im Raum entspann sich auch eine heftige Diskussion, als 2017 von der Fassade der Alice Salomon Hochschule Berlin ein Gedicht von Eugen Gomringer entfernt werden sollte. Die Lösung, die Barbara Köhler erfand, "zeigt ganz beispielhaft ihren Charakter und den Charakter ihrer Kunst: das vormalig auf der Wand befindliche Gedicht scheint weiterhin durch, und der neue, darüberliegende Text zieht freundlich beharrend und zur Versöhnlichkeit einladend die Bilanz – „WÜNSCHEN SIE IHNEN / BON DIA GOOD LUCK“ (zitiert aus: Börsenblatt)".

Von 2013 bis 2015 war sie Mitglied des kuratorischen Teams "six memos for the next…" für den Kunstverein Bregenz. Zudem war sie Artist in Dialog der Universität Witten-Herdecke (2000), Max-Kade-Writer beim Oberlin College, Oberlin OH (2009), hatte die Thomas-Kling-Poetikdozentur an der Universität Bonn (2012/13) inne, war Artist in Residence an der Cornell University, Ithaca NY (2013) und hatte auch die Ernst-Jandl-Poetikdozentur der Universität Wien (2016) inne. 

Sie erhielt den Clemens-Brentano-Preis (1996), den Literaturpreis des Ruhrgebiets (1999), den N. C. Kaser-Lyrikpreis (2005), den Spycher-Literaturpreis (2007), den Joachim-Ringelnatz-Preis (2008), den Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung (2009), den Poesiepreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft (2009), den Peter-Huchel-Preis (2016), den Alice Salomon Poetik Preis (2017) sowie den Ernst-Meister-Preis (2018).

Editor — Juliane Kuhn
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