Für neun Jahre (1998–2007) war die Kunsthochschule für Medien Köln das Zuhause des Vilém Flusser Archivs. Das Archiv beherbergt und betreut den Nachlass des in Prag geborenen Kultur- und Medientheoretikers Vilém Flusser (1920–1991), der 1940 nach Brasilien emigrierte und Anfang der 70er Jahre nach Europa zurückkehrte. Ab 1992 von seiner Frau Edith Flusser gemeinsam mit ihrem Sohn Miguel Gustavo Flusser, Vera Schwamborn und Klaus Sander in Den Haag und München aufgebaut, wurde das Archiv 1998 in die Obhut von Prof. Dr. Siegfried Zielinski, damals Rektor der KHM, gegeben. So ging das Archiv seinerzeit an die KHM, die original Manuskripte Flussers gingen allerdings in das Historische Archiv der Stadt Köln, im Flusser Archiv verlieben Kopien, die mittlerweile digitalisiert sind. Den Einsturz des Stadtarchivs 2009 überstanden die Manuskripte unbeschädigt. Die Ansiedlung des Flusser Archivs an einer Hochschule entsprach dem Wunsch Edith Flussers, es als offen zugängliche Plattform in einem Forschungskontext zu etablieren. An der KHM aufgebaut wurde es maßgeblich von Siegfried Zielinski, Silvia Wagnermaier, Nils Röller, Marcel René Marburger und durch die Unterstützung vieler Kolleginnen und Kollegen sowie Studierender.
Als Prof. Zielinski 2007 auf den Lehrstuhl für Medientheorie an die Universität der Künste Berlin berufen wurde, siedelte das Archiv dorthin um. Es befindet sich bis heute dort am Institut für zeitbasierte Medien der Fakultät Gestaltung. An der UdK Berlin für das Flusser Archiv zuständige wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren im Verlauf der Jahre Dr. Marcel René Marburger, Claudia Becker und Daniel Irrgang. Seit 2016 ist Prof. Dr. Maren Hartmann Direktorin des Archivs, wissenschaftliche Mitarbeiterin ist Dr. Anita Jóri.
Das Archiv versteht sich als Knotenpunkt der internationalen Flusser-Forschung und ist bemüht, das Werk des Prager Denkers präsent zu halten. Über eigene Projekte wie die Veranstaltungs- und Publikationsreihe der International Flusser Lectures und die Editionen der Bochumer Vorlesungen von 1991 hinausgehend, unterstützt das Vilém Flusser Archiv nach Möglichkeit auch internationale Publikationsvorhaben, wissenschaftliche und künstlerische Arbeiten und Veranstaltungen. Der Bestand des Archivs umfasst rund 2500 Essay- und Buchmanuskripte Flussers, sämtliche Veröffentlichungen sowie seine umfangreichen Korrespondenzen. Seine zu einem Teil noch unpublizierten Texte sind vor allem in deutscher und portugiesischer, aber auch in englischer und französischer Sprache verfasst. Ergänzt wird das vielsprachige und heterogene Werk durch Flussers sogenannte Reisebibliothek, zahlreiche Bild- und Tondokumente, digitale Artefakte, Sekundärliteratur und eine wachsende Sammlung von Diplom- und Doktorarbeiten. (Detaillierte Informationen zum Bestand: http://www.flusser-archive.org)
Die Zeit an der KHM waren wichtige Jahren in der Geschichte des Instituts. Das Archiv musste umgebaut bzw. umstrukturiert und ein neuer räumlicher Zugang für den Bestand gefunden werden. Außerdem wurden neue Publikationsprojekte initiiert. Aus einem dieser Projekte ging das Buch Kommunikologie weiter Denken hervor, das 2009 im Fischer Verlag erschienen ist. Es basiert auf den Tonaufnahmen von Flussers Bochumer Vorlesungen, die er 1991 auf Einladung Friedrich Kittlers an der Ruhr-Universität Bochum gehalten hatte; es wurde editiert, kompiliert und herausgegeben von Silvia Wagnermaier und Siegfried Zielinski.
Ein weiteres wichtiges Beispiel sind die International Flusser Lectures. Die Vortragsreihe, aus der mehrere Publikationen im Verlag der Buchhandlung Walther König hervorgegangen sind, wurde 1999 an der KHM initiiert und von 2007 bis 2018 an der Universität der Künste Berlin weitergeführt. Mit den Lectures bemüht sich das Archiv, das geistige Lebenswerk Vilém Flussers in seinem anregenden Potential lebendig zu halten und mit aktuellen Entwicklungen der Geistes- und Naturwissenschaften in Beziehung zu setzen. 2018 ist eine Anthologie der Lectures im Verlag Wilhelm Fink erschienen: Erkundungen im anthropologischen Viereck. Lektionen im Kontext des Flusserschen Denkens, herausgegeben von Daniel Irrgang und Siegfried Zielinski.
2014 initiierte das Vilém Flusser Archiv die Ausstellung “Bodenlos – Vilém Flusser und die Künste” (kuratiert von Siegfried Zielinski und Baruch Gottlieb unter Mitarbeit von Daniel Irrgang und Monaí de Paula Antunes), die 2015 am ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe zu sehen war und dann nach Berlin an die Akademie der Künste wanderte. Kleinere Versionen der Ausstellungen folgten im West in Den Haag sowie in der GAMU in Prag. Aus der Ausstellung gingen unter anderem ein Ausstellungskatalog hervor, herausgegeben von Siegfried Zielinski und Daniel Irrgang für die Akademie der Künste Berlin (2015), sowie das umfangreiche dreisprachige Handbuch Flusseriana – An Intellectual Toolbox, herausgegeben von Siegfried Zielinski, Peter Weibel und Daniel Irrgang bei University of Minnesota Press (2015).
Text: Anita Jóri und Daniel Irrgang