Audiolectures - "Geschichte der Künste im medialen Kontext"
von Prof. Dr. Hans Ulrich Reck, Kunsthochschule für Medien Köln
BRECHUNGEN, SETZUNGEN, EXPANSIONEN.
Einführung und Übersicht zu Entwürfen, Praxen, Philosophien der bildenden Künste im 20. Jahrhundert.
In diversen Wellen verliefen die entscheidenden Erschütterungen.
Und zwar nach innen wie nach außen, von den Künsten her und auf diese zu.
Die selbstgewählte Marginalisierung und Relativierung der bisherigen Kunst, glorifiziert in der Malerei bis zum späten 19. Jahrhundert, ermöglichte nicht allein eine Besonderung der Figur vom Künstler, sondern markiert die entscheidenden, selbstreflexiven Revolutionen der bildenden Künste in deren Abwendung von einer alt gewordenen, akademischen Kunst und den Ritualen der etablierten sozialen Bestätigung: Kunst als eigentliche Technik einer Demoralisierung der ästhetischen Erwartungen der Gesellschaft.
Es vollzog sich die entschiedene Ausweitung der Fragestellungen experimenteller Kunst zunächst als Abwendung von Darstellungsdoktrinen, als eine Öffnung für Bildprozesse aller Art, später als utopischer Gegenentwurf gegen eine verachtete Welt, mitsamt einer wachsenden Ritualisierung dieser Ablehnung, sowie als Aufnahme massenwirksamer technischer Artefakte und 'neuer' Apparate in einen ausgeweiteten Kunstprozeß.
Die Expansion des Avantgardismus kann über die Vielfalt und Agilität einer Modellierung devianten Materials und die gezielte Umwendung massenkultureller Codes ebensowenig hinwegtäuschen wie über eine heute übrigens wieder traditionalistisch zerstückelte Einheit alter und neuer, handwerklicher und technischer, mimetisch wie apparativ basierter und grundierter Künste. Zusammen mit den Praxen und Experimenten, Entwürfen und Konzeptionen, Manifesten und Deklamierungen einer sich nahezu täglich mittels neu entworfener Sprachen entfaltenden künstlerischen Dialektik von Kontinuität und Bruch werden bedeutende Kunstphilosophien des 20. Jahrhunderts wenigstens in Ansätzen und bezogen auf die Entstehungsumstände spezifischer künstlerischer Praxen erörtert.
Zur Sprache kommen werden - in einem projektiv (allzu) weit ausgreifenden Panorama - beispielsweise: die großen Utopien des russischen und westeuropäischen Konstruktivismus; der Diskurs des Primitivismus (Relativierung, Primitivierung, Affektivierung, Ethnisierung, Exzentrisierung, Anti-Zivilisierung); die Suche nach expressiver Ursprünglichkeit der Künste; das imaginäre Bildmuseum der Welt (minimal art, Kandinsky, Malraux u. a.); die politische Instrumentalisierung und die auf Dauer gestellte künstlerische Revolte; der Bruch nach dem 2. Weltkrieg; die große, antihumanistische Abstraktion; Existenzialismus und Situationismus; die radikalisierte Auflösung des Werks in der Konzeptkunst; die anhaltenden Paradoxien der Pop Art; Duchamp als Trauma und Markierung; die Bildmontagen und expansiven Entwürfe eines zeitspezifischen Realismus von John Heartfield, George Grosz, Bruce Nauman; die apparativ gestützte kinemato(video)graphische Verarbeitung der Kunstgeschichte und Malerei bei Godard, die apparative Poetik der Videographie bei Nam June Paik und anderen; das Thema der kinetischen und Maschinenkunst; die Wendung zu Informationstheorie und Kybernetik; das konfliktreiche Verhältnis von Massenkommunikation und Künsten; das Extremtraining eines re-kombinierten Körpers in der Performance-Kunst (u. a. bei Valie Export); Revokationen und Re-Ritualisierungen des Mythischen (Beuys, Kounellis u. a.); die Grundzüge der Kunstphilosophien von Benjamin, Bloch, Malraux, Baudrillard, Lyotard, Adorno, Luhmann.